Montag, 15. Februar 2016

Verzahnt

Geschichten über Nächte
in denen wir vergessen wer wir sind.
Die uns zum neu erfinden zwingen,
weil wir uns aus unseren Hüllen pellen,
uns freimachen von Zwängen
und alles nochmal überdenken.

Ich hab noch nie zuvor gesehen,
wie winzig Sicherheitskräfte sind,
wenn man ganz oben
auf einem beleuchteten Förderturm sitzt
und wie fiepsig ihre Stimmen klingen
wenn sie brüllen:
„ihr kommt jetzt sofort da runter,
oder wir holen die Polizei!“
Hab noch nie zuvor gesehen,
wie grell nackte Hintern strahlen,
bevor sie auf tiefschwarzes Badeweiherwasser auf knallen.
Und auch nicht,
dass man zu viert auf einem Fahrrad sitzend,
die Reeperbahn hinunter brausen kann,
Cola- und Kirschlollies an Passanten verteilend.

Ich hab noch nie zuvor gehört,
wie laut Jungs gröhlen,
wenn sie in Hotdogkostümen auf Skateboards
durch leergefegte Einkaufszentren rasen,
hab noch nie zuvor gehört,
wie lautstark sich Wohnungsbewohner aufregen,
wenn man seinen Haustürschlüssel vergisst,
das Stockwerk verpeilt, ein Schloss knackt
und dann im falschen Wohnzimmer
Chips essend auf der Couch sitzt.
Und auch nicht,
wie schön Musik klingt,
wenn man ein paar Lampen und Boxen
in einen Wald schleppt und feiert.

Ich hab noch nie zuvor gefühlt,
wie der Verschlussknopf eines 63er Chevrolet
unterm Finger nachgibt
und ich weiß nicht
wie man son Ding kurzschließt
/und das ist wohl auch besser so./
Hab noch nie zuvor gefühlt,
wie kalt das Wasser in Grachten ist
und das man nur zur Hälfte in Wasser
zur anderen in Morast steckt
und auch nicht
wie es ist Walzer
in verlassenen Ballsälen zu tanzen,
durch ein klaffendes Loch in der Decke scheint der Mond
und auf den Bänken ranken Ranken,
ranken sich die Decken hoch,
bis zum Mond.

Ich hab noch nie zuvor geschmeckt,
die Mischung aus metallischem Blut und Dreck,
und wenn der Mittel dem Zweck dient,
dann sind vier Schals nichts das richtige Mittel
für eine Affenschaukel.
Hab noch nie zuvor geschmeckt,
wie dick Nebelmaschinennebel auf 12 Quadratmetern wird
und das dichter Nebel aus einem geöffneten Fenster
garantiert alle Nachbarn zum Anruf bei der Feuerwehr motiviert.
Und auch nicht,
die Kombination von Pizza, Döner, gebratenen Nudeln
und dem schlimmsten Sodbrennen, dass die Welt je erlebt hat.

Ich hab noch nie zuvor gerochen
den Duft von verklärten Gedanken,
wenn die ersten Sonnenstrahlen Clubverlasser küssen.
Hab noch nie zuvor gerochen,
den Geruch von Keuchen und Schweiß,
beleuchtet von Straßenlaternen hinter Fenstern
mit halb zugezogenen Vorhängen.
Und auch nicht,
den Angstschweiß von Passanten,
wenn sich auf offener Straße rund 20 Tüten Brause,
ihren Weg schaumig aus einem Magen bahnen.

Ich hab noch nie zuvor gesehen, gehört, gefühlt, geschmeckt, gerochen,
wie es ist
mit jeder einzelnen Faser lebendig zu sein
und es hat Jahre gedauert,
bis ich begriff was es meint,
sich in einem Moment zu manifestieren,
das ist,
im Verlauf des Geschehens zu verlieren.

Ich hab geflucht, gelacht, geweint, gehasst, geliebt,
gemeint, da müsse sich noch soviel mehr verbergen,
hinter den Bergen meiner jugendlichen Angst davor
irgendwann zu sterben,
ohne richtig gelebt zu haben.

Aber was soll ich sagen,
das war alles Quatsch.
Denn jeder Moment ist schlussendlich das,
was du aus ihm machst,
ob du ihn fühlst,
ob du zitternd erbebst,
ob du dich gerade
zwischen den Zeilen
deiner eigentlichen Biographie bewegst.
Leben ist all das was du erlebst,
und die Erkenntnis darüber ist so einfach,
man könnte meinen,
dass das jeder auf Anhieb versteht.

Also warum noch warten?

Es ist Zeit sich zu erheben,
sich zu verändern, zu überdenken,
Zeit nicht nur Gedanken daran
wer man war und wer man wird
zu verschwenden.
Jeder Einzelne hat die Wahl
und für jeden anderen außer dich ist es egal
was du dir vornimmst mit deiner Zeit anzustellen.


Also lebe, lebe, lebe, lebe, lebe, lebe, lebe, lebe, lebe, lebe, liebe, lebe, lebe, lebe, lebe, stirb.

Montag, 9. November 2015

Fortschritt durch Stillstand

Ich habe keine Lust mehr
immer nur zu funktionieren,
will auch mal kaputt sein
und es riskieren,
mich für nichts zu interessieren.

Will morgens aufstehen,
weil ich mag,
nicht weil ich muss,
will an manchen Tagen einfach liegenbleiben,
mich nicht bewegen müssen,
sondern frei haben
ohne Verdruss darüber,
wieder irgendetwas nicht zu tun.

Dingen nachgehen,
die mich wirklich beschäftigen,
Versuche zu starten,
mich selbst zu bekräftigen
in der Annahme
mit etwas Zeit
könnte ich mich
der Tragweite meiner Existenz bemächtigen
und die Tatsachen
so drehen wie ich sie will.

Und ich
habe keine Lust mehr
immer nur zu funktionieren,
will auch mal kaputt sein
und es riskieren,
mich für nichts zu interessieren.

Will lediglich
eine andere Realität als:
6 Uhr 20 Wecker bimmeln,
6 Uhr 30 Kaffee, Kippe,
6 Uhr 40 Käseschnitte,
6 Uhr 50 heiß entschimmeln,
also duschen,
raus aus dem Haus,
7 Uhr 15 verpasstem Bus Flüche nachrufen.
Darauf 7 Uhr 16 bis kurz vor 8,
5 Kilometer Sprint ans Ende der Nacht,
Greifswalder Straße, beinahe geschafft,
doch dann, alte Dame,
überbeladen mit Tütenfracht
und der Schwiegersohn in mir erwacht.

5 nach 8,
Mahnung vom Chef,
was ich mir denke,
meine Zeit,
sei schließlich sein Geld
und überhaupt,
 was einem verlotterten, faulen Tempel wir mir einfällt,
Abends dieses teuflische Hasch zu rauchen,
zu verpennen und dann mein Zuspätkommen,
auch noch anhand von Lügengeschichten
zu heroischen Taten aufzubauschen!

Das sind die folgenden 8 Stunden zusammengefasst:
Arbeit, Arbeit, Arbeit, Arbeit, Arbeit,
Pommes, Majo, Cola, Kippe,
Arbeit, Arbeit, Arbeit, Frei.
An der Halte fährt wie selbstverständlich,
ich schwör auf alles,
der selbe Busfahrer
wie am Morgen an mir vorbei
und im Hausflur
begrüßt mich mein Briefkasten
mit Rechnungen und Reklamen.
Ich eile nach oben,
ziehe mich aus,
lösche das Licht,
werf mich aufs Bett
und denke:
Ich habe keine Lust mehr
immer nur zu funktionieren,
will auch mal zerstört sein
und es riskieren,
mich für nichts zu engagieren.

Doch ich muss immer wieder
an die aufbauenden Worte meiner Oma denken,
die sagt:
Im Leben wird dir niemand
auch nur einen Heller schenken.
Es wird leichter,
je früher du verstehst,
dass du dir selbst im Wege stehst,
je länger du überlegst,
worum es sich im Leben dreht.
Jemand der eine Arbeit findet,
die ihm liegt und Spaß macht
ist eine Ausnahme,
also hör auf dich mit Quatsch
wie Gedichten zu verausgaben,
sondern erfüll gesellschaftliche Auflagen,
such dir einen Job mit anspruchsvollen Aufgaben,
dann kannst du dich auch endlich
an das Projekt Haus, Baum und Frau wagen.
Bausparen, meinen Daumen grün färben,
all die überflüssige Romantik
über Bord werfen
und mir das erstbeste Mädel angeln.
Wir verlieben uns
in die Lohnabrechnung des anderen,
heiraten in weiß,
ich lern ordentlich zu verhandeln
und kauf nen Kombi für nen guten Preis
und klebe hinten einen Aufkleber drauf
auf dem steht:
"ich habe diesen Kombi für einen verdammt guten Preis gekauft!"
und wenn ich schon dabei bin,
klebe ich direkt darunter
einen Karl-Arsch und Anna-Sonstwas an Board Aufkleber auf.

Eines Abends,
so mit 50 vorm Fernseher
wache ich auf, mir wird klar,
bisher war mein Leben
ein einziger Fehler
und jetzt ist es zu spät
noch irgendwas zu ändern.
Halleluja, was sollte ich auch tun,
war immer alles so wie ich es wollte
und durfte ich mir jemals
was anderes aussuchen?
Vielleicht,
wäre da die Möglichkeit gewesen
sich auszuruhen,
zwischen erster Lohnerhöhung,
schonmal an die Zukunft denken,
seinen Träumen müde nachlächelnd
und sich nicht mehr daran erinnern zu können,
Träume geträumt zu haben.
Ich habe mich verfahren,
dabei wusste ich,
was ich wollte:
Ich hatte keine Lust mehr
immer nur zu funktionieren,
wollte auch mal lädiert sein
und es riskieren,
mich für nichts zu aktivieren.

Aber man hat mich gelockt,
mit Fußbodenheizungen, Indoor Pools,
Geld am Ende des Monats
und dem Versprechen
Glück auf den höheren Büroetagen zu finden,
wenn ich mich nur genug anstrenge.
Und man hat mir gedroht,
mit gestrichenen Leistungen,
gelben Briefen, eingebläuten Zukunftsängsten
und der Illusion,
nicht die nötigen Mittel
für ein glückerfülltes Leben zu haben,
wenn ich mich nicht genug anstrenge.

Dieses Leben
ist manchmal
wie das Fahren
mit einem Dampfschiff
durch eine Meeresenge.
Du weißt nie
wann du aneckst
oder im schlimmsten Falle aufläufst
und zu viele denken,
dass man mit Geld
auch gleichsam Glück anhäuft,
obwohl man vielleicht dem wahren Glück
genau so davonläuft.

Nur noch in einem bin ich mir sicher:
Ich habe keine Lust mehr
immer nur zu funktionieren
und deshalb höre ich hier und jetzt damit auf.

Der Kurztrip zu Allem und Nichts

An einem tropisch regnerischen Sommertag
klapperten Absätze über grobes Gestein,
blitzten Blitze aus Handykameras
und sie formten Abbilder eines antiken Schreines,
in dem auch ich verloren umher schritt.
Und mit jedem Tritt,
vorbei an uralten Klötzen,
schien ich wie verzaubert von fremdartigen Götzen
und den Menschen die Lebenskraft aus ihnen schöpfen.

Da fiel mein Blick
auf einen alten Mann
etwas geduckt strich er,
im vorbeigehen an einer Mauer entlang
und war er erst an einem Ende angelangt,
so fing er wieder von vorne an.
Ich beobachtet das Schauspiel
für wenige Augenblicke
und gerade wollte ich dann wieder meiner Wege gehen,
da begann der Mann mich anzusehen.

Erst ganz normal
dann etwas tiefer,
plötzlich fand ich
Abgründe meiner Seele
in seinen Augen wieder
und er nickte
und ich nickte,
wir beide verstanden.
Er sagte in einer Sprache,
die ich weder verstand noch sprach,
„komm mit mir mit“
und ich tat es.

Geschwind, vielleicht etwas zu flink
kletterte er über ein Absperrseil,
bin weniger weiterer Schritte,
befanden wir uns dann im abgesperrten hinteren Teil allein,
wo er stetig weiter eilte.
Ich folgte, stolperte, rappelte mich auf,
sah wie er um eine Ecke bog,
bemerkte meine Neugierde,
die mich wie automatisch hinter ihm her zog
und rannte.
Befand mich darauf auf einem Feld
gesäumt von Tempeln,
sah den Greis sich weiter vorne
seine weiten Robenärmel hochkrempeln
und dann winken,
vor einem unscheinbaren Bau.

Kaum war ich bei ihm angelangt,
als wir den Bau betraten und
uns die Dunkelheit
eines engen Ganges verschlang.
Darauf befanden wir uns in
einem von Fackeln funzlig erhellten Raum,
eine Art Altar in der Mitte
und bereits jetzt wirkte alles
wie aus einem wirren Traum,
der mir aus den Fingern glitt,
dessen Handlung die Bilder
in meinen Vorstellungen
zu nutzlosen Schnipseln zerschnitt,
während der Greis in die Mitte des Raumes schritt.

Schwaches Licht
begann sein Gesicht zu erhellen
und kurz dachte ich noch
Richtung Ausgang zu schnellen,
da stand ich neben ihm,
schaute in die tiefe eines mysteriösen Beckens,
und war dabei eines der größten Rätsel der Menschheit zu entdecken.

Und plötzlich zerfiel ich,
zerfloß ich,
verlor meine Form.
Ich starb und wurde neugeboren,
als gleichschenkliges Dreieck,
dann als mies gezeichnete Normalparabel,
als Löwe, als Fuchs, als Schildkröte, als Hase
in einer Fabel,
als auch auf
vergilbten Polaroid-Tierfotografien.

Ich wurde zu Erde,
ich wurde zu Galaxien voller Erden,
deren Sonnen, Monde, Sterne,
endlose Bahnen um sie ziehen.
Dann wurde ich zu einem frühzeitlichen Übeltäter,
mich zerrten zwanzig zornige Zentauren zum Schafott,
kurz darauf schlürfte ich vorzüglichen Spätburgunder
mit Gott – weiß was für Leuten.
Ich war der wohlschmeckendste Wein
für welche die was von Gott wissen
und für gewisse Leute
war ich lediglich schlechtes Gewissen.

Ich wurde zu allem,
wurde zu nichts zu gleich,
wurde Bänker, Bauer, Hausfrau, Astronaut, Magier und Scheich
in einem weit entfernten orientalischen Reich.
Wurde erst dunkel,
dann bleich,
arm,
dann reich,
erst Kind,
dann Greis, nur um schließlich
eine Tasse Kaffee zu sein.
In Sri Lanka
wusch eine Frau
mit mir den Fußboden rein
und in North Dakota
war ich eine selten Kostbarkeit,
wurde gesucht von Gangstern und FBI.
Ich hätte die Welt verändern können,
wäre ich nur in die richtigen Hände gefallen.
Ich wurde zu Zukunft, Vergangenheit, Gegenwart,
mit meiner Hilfe wurden Sklaven genommen,
Sklaven befreit,
Goldschmuck gestohlen,
Essen geteilt.
In meinem kältespendenden Schatten
haben endlos viele Wanderer verweilt,
bevor sie schließlich auf mich weiterschritten,
sich in schlaflosen Nächten
um die Frage meiner Existenz stritten
oder an Lagerfeuern mit mir
Waldmannsfigürchen aus Holz zurechtschnitten.

Ich wurde auch ich
an vielen Stationen meines Lebens,
begriff Relativität
und warum wir trotzdem weiter streben
und nicht allein sein wollen.

Nach und nach erreichte abstraktere Formen,
ich wurden zu Ideen, zu Gedanken, zu Normen,
zu Worten, zu Lauten, zu Gesetzen
und zu den Schmerzen im Bauch jener,
die sich denen widersetzen.

Hasserfüllte Münder Gesichter schrien mich an,
andere, glückliche Gesichter
sagten ihren ewig währenden Dank,
während der letzten Rest meiner einst irdischen Form bangte,
um das Quentchen Verstand,
das in einem Strudel aus Materie
fast gänzlich verschwand.
Bis ich endlich schaffte es zu packen
zu schütteln, rütteln,
mich schließlich um 720 Grad
von allem zu entrücken,
rückwärts wieder zu bestücken,
zu schlafen,
zu wachen,
letztlich nichts mehr zu wissen.

Und das nächste,
an das ich mich erinnere,
war ein weißes Kissen,
weich und warm an meinem Kopf
und auch noch
wie es dann im nächsten Moment an der Tür klopft
jemand fragt ob ich wach bin,
wie es mir geht
und ich frage mich

hab ich das gerad wirklich erlebt?  

Donnerstag, 7. August 2014

Von der Fensterbank, am Samstag

Über einen gelangweilten Wochenendeinfall,
von zwei alltagsverschreckten Teenagern,
entfacht ein Funke diesen Hinterhof.

Erst lodert nur das alte Laub,
letzten Herbst hereingeweht,
als wir noch dem Sommer hinterher träumten.

Dann fangen die Kisten an zu schwelen
und unsere vergessenen Gedanken
knistern in der Abendsonne.
Sie qualmen hinfort
und verschwinden über den Zinnen der Dächer.

Jetzt brennen auch die Bretter,
die einst, nicht verrückt zusammengestellt,
eine Idee von Heimat waren.

Auch der antike Diwan blakt dahin,
auf dem soviele Hintern
Gedanken ausbrüteten.

Flammen malen die Wände schwarz
und das wird alles sein,
was von unserer Vergangenheit bleibt,
bis der Streicher kommt.

Samstag, 12. Juli 2014

Mantra

Es sind Ödnisse,
vage Silhouetten hinter Milchglas.
Aquamarine Illusionen,
projiziert durch mißgönnende Neuronen.
Im Volksmund: Hirngespinste.
Reichen sich die Hände im Reich derer,
deren Hände schon gebunden sind.
Und in der hintersten Reihe applaudiert verblüfft ein Kind.

Mit Stiften lässt sich das nicht zeichnen,
es ist eine Sammelidee: Dilemmas.
Warum macht man da bereitwillig mit?
Die Antwort liegt verschütt gegangen,
mit dem Rest der Jugend im Keller.

Wichtig ist,
nicht den Kopf zu verlieren,
denn unter all den verlorenen Häuptern,
findet man den eigenen bestimmt nicht wieder.