Montag, 9. November 2015

Fortschritt durch Stillstand

Ich habe keine Lust mehr
immer nur zu funktionieren,
will auch mal kaputt sein
und es riskieren,
mich für nichts zu interessieren.

Will morgens aufstehen,
weil ich mag,
nicht weil ich muss,
will an manchen Tagen einfach liegenbleiben,
mich nicht bewegen müssen,
sondern frei haben
ohne Verdruss darüber,
wieder irgendetwas nicht zu tun.

Dingen nachgehen,
die mich wirklich beschäftigen,
Versuche zu starten,
mich selbst zu bekräftigen
in der Annahme
mit etwas Zeit
könnte ich mich
der Tragweite meiner Existenz bemächtigen
und die Tatsachen
so drehen wie ich sie will.

Und ich
habe keine Lust mehr
immer nur zu funktionieren,
will auch mal kaputt sein
und es riskieren,
mich für nichts zu interessieren.

Will lediglich
eine andere Realität als:
6 Uhr 20 Wecker bimmeln,
6 Uhr 30 Kaffee, Kippe,
6 Uhr 40 Käseschnitte,
6 Uhr 50 heiß entschimmeln,
also duschen,
raus aus dem Haus,
7 Uhr 15 verpasstem Bus Flüche nachrufen.
Darauf 7 Uhr 16 bis kurz vor 8,
5 Kilometer Sprint ans Ende der Nacht,
Greifswalder Straße, beinahe geschafft,
doch dann, alte Dame,
überbeladen mit Tütenfracht
und der Schwiegersohn in mir erwacht.

5 nach 8,
Mahnung vom Chef,
was ich mir denke,
meine Zeit,
sei schließlich sein Geld
und überhaupt,
 was einem verlotterten, faulen Tempel wir mir einfällt,
Abends dieses teuflische Hasch zu rauchen,
zu verpennen und dann mein Zuspätkommen,
auch noch anhand von Lügengeschichten
zu heroischen Taten aufzubauschen!

Das sind die folgenden 8 Stunden zusammengefasst:
Arbeit, Arbeit, Arbeit, Arbeit, Arbeit,
Pommes, Majo, Cola, Kippe,
Arbeit, Arbeit, Arbeit, Frei.
An der Halte fährt wie selbstverständlich,
ich schwör auf alles,
der selbe Busfahrer
wie am Morgen an mir vorbei
und im Hausflur
begrüßt mich mein Briefkasten
mit Rechnungen und Reklamen.
Ich eile nach oben,
ziehe mich aus,
lösche das Licht,
werf mich aufs Bett
und denke:
Ich habe keine Lust mehr
immer nur zu funktionieren,
will auch mal zerstört sein
und es riskieren,
mich für nichts zu engagieren.

Doch ich muss immer wieder
an die aufbauenden Worte meiner Oma denken,
die sagt:
Im Leben wird dir niemand
auch nur einen Heller schenken.
Es wird leichter,
je früher du verstehst,
dass du dir selbst im Wege stehst,
je länger du überlegst,
worum es sich im Leben dreht.
Jemand der eine Arbeit findet,
die ihm liegt und Spaß macht
ist eine Ausnahme,
also hör auf dich mit Quatsch
wie Gedichten zu verausgaben,
sondern erfüll gesellschaftliche Auflagen,
such dir einen Job mit anspruchsvollen Aufgaben,
dann kannst du dich auch endlich
an das Projekt Haus, Baum und Frau wagen.
Bausparen, meinen Daumen grün färben,
all die überflüssige Romantik
über Bord werfen
und mir das erstbeste Mädel angeln.
Wir verlieben uns
in die Lohnabrechnung des anderen,
heiraten in weiß,
ich lern ordentlich zu verhandeln
und kauf nen Kombi für nen guten Preis
und klebe hinten einen Aufkleber drauf
auf dem steht:
"ich habe diesen Kombi für einen verdammt guten Preis gekauft!"
und wenn ich schon dabei bin,
klebe ich direkt darunter
einen Karl-Arsch und Anna-Sonstwas an Board Aufkleber auf.

Eines Abends,
so mit 50 vorm Fernseher
wache ich auf, mir wird klar,
bisher war mein Leben
ein einziger Fehler
und jetzt ist es zu spät
noch irgendwas zu ändern.
Halleluja, was sollte ich auch tun,
war immer alles so wie ich es wollte
und durfte ich mir jemals
was anderes aussuchen?
Vielleicht,
wäre da die Möglichkeit gewesen
sich auszuruhen,
zwischen erster Lohnerhöhung,
schonmal an die Zukunft denken,
seinen Träumen müde nachlächelnd
und sich nicht mehr daran erinnern zu können,
Träume geträumt zu haben.
Ich habe mich verfahren,
dabei wusste ich,
was ich wollte:
Ich hatte keine Lust mehr
immer nur zu funktionieren,
wollte auch mal lädiert sein
und es riskieren,
mich für nichts zu aktivieren.

Aber man hat mich gelockt,
mit Fußbodenheizungen, Indoor Pools,
Geld am Ende des Monats
und dem Versprechen
Glück auf den höheren Büroetagen zu finden,
wenn ich mich nur genug anstrenge.
Und man hat mir gedroht,
mit gestrichenen Leistungen,
gelben Briefen, eingebläuten Zukunftsängsten
und der Illusion,
nicht die nötigen Mittel
für ein glückerfülltes Leben zu haben,
wenn ich mich nicht genug anstrenge.

Dieses Leben
ist manchmal
wie das Fahren
mit einem Dampfschiff
durch eine Meeresenge.
Du weißt nie
wann du aneckst
oder im schlimmsten Falle aufläufst
und zu viele denken,
dass man mit Geld
auch gleichsam Glück anhäuft,
obwohl man vielleicht dem wahren Glück
genau so davonläuft.

Nur noch in einem bin ich mir sicher:
Ich habe keine Lust mehr
immer nur zu funktionieren
und deshalb höre ich hier und jetzt damit auf.

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