Donnerstag, 7. August 2014

Von der Fensterbank, am Samstag

Über einen gelangweilten Wochenendeinfall,
von zwei alltagsverschreckten Teenagern,
entfacht ein Funke diesen Hinterhof.

Erst lodert nur das alte Laub,
letzten Herbst hereingeweht,
als wir noch dem Sommer hinterher träumten.

Dann fangen die Kisten an zu schwelen
und unsere vergessenen Gedanken
knistern in der Abendsonne.
Sie qualmen hinfort
und verschwinden über den Zinnen der Dächer.

Jetzt brennen auch die Bretter,
die einst, nicht verrückt zusammengestellt,
eine Idee von Heimat waren.

Auch der antike Diwan blakt dahin,
auf dem soviele Hintern
Gedanken ausbrüteten.

Flammen malen die Wände schwarz
und das wird alles sein,
was von unserer Vergangenheit bleibt,
bis der Streicher kommt.

Samstag, 12. Juli 2014

Mantra

Es sind Ödnisse,
vage Silhouetten hinter Milchglas.
Aquamarine Illusionen,
projiziert durch mißgönnende Neuronen.
Im Volksmund: Hirngespinste.
Reichen sich die Hände im Reich derer,
deren Hände schon gebunden sind.
Und in der hintersten Reihe applaudiert verblüfft ein Kind.

Mit Stiften lässt sich das nicht zeichnen,
es ist eine Sammelidee: Dilemmas.
Warum macht man da bereitwillig mit?
Die Antwort liegt verschütt gegangen,
mit dem Rest der Jugend im Keller.

Wichtig ist,
nicht den Kopf zu verlieren,
denn unter all den verlorenen Häuptern,
findet man den eigenen bestimmt nicht wieder.

Sonntag, 29. Juni 2014

Trott

In einer Welt voller Missverständnisse,
da gibt es auch uns,
auf halber Strecke.

Wo man noch mit fast geschlossenen Augen spricht,
um die Stiche der Worte zu lindern,
gar nicht so leise im Halbschatten.

Da können etliche Kilometer
zwischen Mund und Ohr liegen,
auffallen würde es doch nicht,
bei all dem Chaos,
das wir uns beibringen.

Tiefer in den Tag hinein,
zuversichtlich,
noch das ein oder andere reißen zu können.
Zerreißen, aufreißen, am Ende der große Abriss.
Hier wird zusammengezählt,
jeder für sich allein.

Wer dann die meisten Punkte hat,
vergeht trotzdem.

Samstag, 14. Juni 2014

Aquincum

                                                                                 I

Es war das erste und letzte Mal, dass Marcel Acid nahm.
Der Wind schlug ihm feindselig ins Gesicht, als wolle er gerade ihn strafen.
Strafen für alles was er getan hatte.
Marcel zerrte an seiner Kapuze, die bereits den Großteil seines Kopfes bedeckte; sie sollte noch enger sein, noch einschließender, verbergender.
Er wünschte sich unter tränenden Augen von ihr verschluckt zu werden, ein tiefes Fallen in die unscheinbare, geheime Welt, die sich im Innern der Jacke verstecken mochte.
Und dann Ablass, Stille von all den tosenden und schreienden Geräuschen, welche unablässig versuchten in die Fasern des Kleidungsstückes einzudringen.
Nur noch diese letzte Bastion, die das Geschöpf vor Nacktheit und Hilflosigkeit schützten, entrückt wandernd ohne Ziel.
Von rechts stechende schwarze Uferkälte, scheinheilig dahinplätschernd vor ungescholtenen, verhöhnenden Lebensmutes.
Was aber wirklich wie Wasser wirkte waren die gruselig schaukelnden Lichtfetzen, verloren von wenigen irrsinnig umhergeworfenen Straßenlaternen, denen nichts anderes übrig blieb, als auch unter dem Druck der boshaften Böen noch hoffnungslos zu versuchen den schmalen, mit Kieseln bedeckten Promenadenweg zu erleuchten.
Gleich einer kitschigen Karikatur schwankte die einsame Gestalt des jungen Mannes den knisternden Pfad entlang. Gierig nach Realität und zugleich müde all dessen, was eben jene mit sich brachte.

                                                                                II

Fünf Stunden zuvor.
Quirrelige Erwartung von der Art, wie sie sich in einer Warteschlange breit zu machen pflegt.
Wochenende, alles aus sich herauspressen, dass sich im Laufe der Woche in den Körper eingekeimt hat.
„Heute ist DIE Nacht. Heute geht alles!“ rief Jerome.
Alle Freunde der kleinen Partygemeinschaft und auch Marcel stimmten lauthals in diesen Aufruf, der mehr Gefühl gewesen zu sein schien, überein.
Der dröhnende Bass hinter den massiven Wänden des Clubs kitzelte bereits jetzt an ihren Füßen und je näher sie dem Eingang mit der Instanz des durchaus zu fein gekleideten Türstehers zu kommen schienen, desto mehr leerten sich ihre Köpfe von all den kleinen Sorgen, die ihren Alltag bestimmten.
Nur Sandra, Marcels kleine Schwester, schien ein wenig verstimmt oder aber zumindest nicht so ausgelassen wie es sonst ihre Natur war, wofür sie einen kecken, aber durchaus nett gemeinten Seitenhieb von Jerome einzustecken hatte.
Schnell verteidigte Marcel sie, wie es in seiner behütenden Art als Bruder lag. Sandra jedoch, die sich sonst gut selber zu helfen wusste, starrte ihn nur mit großen wässrigen Augen an.
Solche Dinge konnte man getrost als kleine soziale Lappalien abstempeln, wenn man sich in Kreisen zu bewegen pflegte, in denen von Zeit zu Zeit E's und anderes die Runde machte.
„Der Scheiß macht aus unseren Köpfen Kompott, ich sag's euch!>“ Hatte Raph, der unruhig mit zuckenden Gesichtsmuskeln zwischen den anderen dahinvegetierte in einem seiner wenigen hellen Momente gepredigt.
Sie waren ein verdrehtes Bild freundschaftlichen Hintergehens, konnten sich selten in die Augen blicken, ohne sie gleich wieder beschämt abzuwenden.
Aber wenn es darum ging zusammen zu feiern, dann war ihnen jede Lüge recht, schließlich wollte man nicht ganz und gar allein sein, obwohl jedem von ihnen an graueren Tagen zweifelnde Gedanken durch den Kopf geschossen waren.
Die Gruppe bewegte sich in der Schlange vorwärts und leere Flaschen wurden an den Rand gestellt, auf ein kurzes Wiedersehen, wenn es irgendwann wieder nach Hause gehen sollte.
Gleichsam mit dem Fortschreiten stieg auch die Aufregung, denn zum ersten bestand immer jene winzige Gefahr, dass an der Tür verkündet wurde heute sei nicht ihre Nacht und zum zweiten legten sich die feuchten Ausdünstungen der Diskothek brennend auf die Gestirne der Wartenden und entfachten ihre Körper mit einer noch heißer lodernden Erwartung auf eine der Nächte, von denen sie schon tausende erlebt hatten und auf der Suche nach noch größeren Kicks weitere erleben würden.
Marcel wusste sich beobachtet und warf einen Seitenblick in die Richtung seiner Schwester, die ruckartig ihren zärtlichen, blond beschopften Kopf nach vorne schleuderte.
Diese Hast in ihrem Wesen war auch für ihn gänzlich neu und trotz all der gefallenen Worte durchaus erklärbar. Hoffentlich würde sich ihr Verhalten wieder normalisieren, denn...
„Ausweis?“
Der Türsteher schnauzte ihn in beruflich aufgesetzter, perfektionierter Manier an. Ob diese Leute wohl auch privat unausstehlich waren?
In seinem Portmonee schien sich ein schwarzes Loch aufgetan zu haben, wie wild suchte er zwischen kleinen Plastikbeuteln, Kassenbons und unerklärlichen Krempel nach dem begehrten Dokument. Nur keine Zeit verlieren, die Geduldsspanne des Menschenaffen im Anzug ist bekanntlich kurz.
Schließlich tauchte er auf und wurde blöd grinsend vorgezeigt.
Auf ins Abenteuer.

                                                                               III

Inmitten der triefenden Menschen tanzten ausgelassen zuckende, blitzende Farben in der Manier eines perversierten Regenbogens. Schwarze Mäuler spien Rauchschwadenflakschiffe, die sich zwischen Straßenschmutzbemalten Schuhen auf der Mischung von Dreck und Boden schlafen legten.
Über allem herrschte der Bass wie ein dunkel allgegenwärtiger Despot mit feurig schwarzen Augen, der eine Armee von wirren Klickgeräuschen, stürmischen Heads und peitschenden Snares unter seinem Umhange, die wütende Masse der Feiernden in einem nie enden wollenden Marsche vor sich her trieb.
Das war Techno. Deswegen waren sie hier.
Und all diese Menschen verband eine gemeinsame Sache. Eine Frage. Ein Suchen nach etwas, von dem sie selbst nicht wussten was es war.
Denn auf die verschiedensten Weisen fehlten ihnen allen derselbe Teil, den sie hier auszufüllen, oder schlichtweg zu vergessen suchten.
Der Weg zur aphrodisierenden Selbstvergessenheit, gepflastert mit unzähligen Kippen, unbenennbaren Synthetika und belanglosen Zwischensequenzen, bis der einnehmende Bass wieder einsetzte, um einen das letzte bisschen Vernunft aus dem Schädel zu pusten.
Genau hier auch Marcel mit seinen Leuten, schon kurz nach dem Betreten die Zeit vergessen und jetzt verschwitzt ausgelaugt durchatmend.
Die jungen Menschen sahen sich an und lachten fröhlich über ihre lässige Unbedachtheit.
Jerome hatte sich ein Mädel abgegriffen, der er, leicht separiert im Hintergrund sitzend, stammelnd rein erfundene Heldengeschichten auftische, die sie ihm naiv von den Lippen leckte.
Raph war schon in den ersten zehn Minuten auf nimmer wiedersehen aufgesprungen und bis dato diesem Abgang getreu auch nicht wieder aufgetaucht.
Der Rest von ihnen schnaufte alles herunter, was von klein bis groß geschehen war und Marcel hörte dem Ganzen desinteressiert mit einem Ohr zu. Seine Aufmerksamkeit galt allerdings eher Sandra, die ein Stück fernab von Allem, (so schien es) abseits der Gruppe stand und mit ihren kleinen Augen große Löcher in die dunstige Atmosphäre starrte.
Das Leben war für Marcel eine schaurige Maskerade. Ein Danse Macabre, dem er sich immer und immer wieder hilflos gegenüber ausgesetzt fand. Oft wollte er das alles nicht mitmachen, einen Schlussstrich unter allem setzen was bisher die Summe der Erfahrungen seines Seins darstellte und neu anfangen. Besonders jetzt.
Sandra wandte ihm ihren Kopf zu und ihre Blicke trafen sich. Dieses mal schaute sie nicht weg und das war noch viel schlimmer, denn der Spiegel ihrer Seele offenbarte eine Trauer und Verlorenheit, die viel tiefer zu sitzen schien, als dass man sie hätte herausschneiden und wegwerfen können.
Etwas war gänzlich falsch gelaufen und ohne das es ausgesprochen war, wusste Marcel, dass es mit ihm zu tun hatte. Ja, dass es sogar seine Schuld war.
Diese traurigen Augen durchfluteten ihn, spülten ihn schier hinfort und er konnte fühlen, wie sich die Luft in seiner Kehle verflüchtigte. Er würde ertrinken, hier und jetzt untergehen, niemand anderes würde davon Notiz nehmen. Das Röcheln nach Luft zwischen den immer kürzer werdenden Momenten in denen die Flut nicht versuchte seinen Körper unter sich zu drücken.
Es war nicht auszuhalten, der verzweifelte Hilfeschrei versiegte noch bevor er die Stimmbänder erreichte, gleich sollte es vorbei sein.
Doch dann trug Sandra ihre Augen wieder an eine andere Stelle des Raumes und das sich aufbäumende Meer versiegte zu einem kläglichen Rinnsal und einem unerklärlichen Durst, der so stark war, dass er die Beine wie von selbst in Richtung Bar drückte.
Überall zuckende Extremitäten und Blitze, keine Menschen mehr, sondern alles eins. Zusammengeschweißt durch grollendes Gewummer.
Seelengewitter, Körpergewitter, Kopfgewitter.
Am Tresen angekommen lehnte sich Marcel etwas erschöpft auf ebenjenen. Wird man aus diesem Kosmos geschleudert, dann befindet man sich in der Umlaufbahn und dort ist alles schwarz dachte er und suchte die Aufmerksamkeit des taumelnden Typen auf der anderen Seite, der sich rigoros an den herumstehenden Schnapsflaschen bediente.
„Ey man!“
Perplex verdrehte der trinkende Barmann seinen Hals und versuchte auszumachen aus welcher Richtung er angerufen wurde. Links, rechts, sogar nach oben schaute er und wirkte dabei, als wäre er wirklich davon überzeugt, dass die Möglichkeit bestünde, jemand könnte über ihm schwebend einen Drink ordern wollen. Dann schien seine Aufmerksamkeitsspanne überstrapaziert und er schickte sich bereits an wieder eine der Flaschen zu ergreifen, wurde dabei aber durch Marcels wiederholten Ausruf aufgeschreckt und nahm schließlich Notiz von ihm.
Die nachfolgende Bestellung schon im vor hinein unterstreichend hob er die Hand und setzte gerade an die magischen Worte zu sprechen, die ihm Eiswürfel und Alkohol herbeizaubern sollten, als plötzlich neben ihm krächzend nach drei Vodka Red Bull gerufen wurde.
In der Absicht die Person neben ihm mit einem wütenden Blick zu strafen, drehte Marcel sich zur Seite und wurde zugleich von einem hübschen kleinen Gesicht mit langen schwarzen Haaren paralysiert.
Was sie zur Schau trug: ein keckes Lächeln, perfekt ausbalanciert in einer Physiognomie auf dem schmalen Grad zwischen Gut und Böse.
„Mira“ sagte sie, als hätte er danach gefragt.
Hätte er danach gefragt?
In seinem andauernden, stummen starren kam er sich stumpfsinnig vor.
Sie war wunderschön auf ihre eigene Art und Weise.
Die Drinks wurden über die Theke gereicht, hatte er so lange geschwiegen?
„Äääh...“ krakeelte Marcel der sich Umdrehenden gegen die Schulter.
Mira sah ihn an, etwas erwartungsvoll, die drei Gläser balancierend. „Willst du mir nicht eins abnehmen?“
Er griff zu und sagte beiläufig „Marcel“ fügte dann noch kleinlaut „sorry“ hinzu, als wäre es an ihm sich für irgendetwas zu entschuldigen.
Ebenso beiläufig wurde mit der Hand abgewunken, dann angestoßen, wenige Minuten später befand man sich in einem Gespräch über Raph, der kurz wie ein Schatten in der wirren Menge auftauchte und sogleich wieder verschwand. Keiner von beiden konnte sich daran erinnern, wann und wie man ihn kennengelernt hatte, witzig aber, dass wieder einmal bewiesen war, wie klein die Welt doch sei. Marcel als Charmeur, genau die passenden Worte in den richtigen Momenten, selten aber erfreulich.
Lose verbunden durch Nichtigkeiten, die in solchen Momenten zu Weltbewegendem heranwachsen. Ganz wie man es hält.
Dann war Mira der Gespräche überdrüssig; ob man nicht tanzen wollte? Guter Sound!
„Unbedingt!“ bekundete Marcel, „schließlich wartet die Zeit nicht auf uns!“

                                                                               IV

Ihr Körper strahlte vor Extase.
Sie wurden zusammengedrückt, ineinander, mit jeder neu einsetzenden Bassline verloren sich ein wenig mehr die Hemnisse. Was heißt es schon sich zu kennen, zu wissen wer der andere ist, wenn der Körper einem schon bedeutet, dass man sich unverfangen fallen lassen kann.
Bald küssten sie sich und lagen einander in den Armen,
bald tanzten sie Seite an Seite und vielsagende Blicke wurden ausgetauscht.
Mira: kein gewöhnliches Mädchen, wie einigen ins Ohr gebrüllten, halb verstandenen, Aussagen, Fragen und Antworten zu entnehmen ist.
Marcel dahingerissen, wie zu oft viel zu einfach, ohne weiter zu hinterfragen.
Tanzende stießen sie an. Irgendwann wird das störend, man wacht aber erst am anderen Mittag auf und sieht die blauen Flecke.
Sie schlug vor eine ruhigere Ecke zu suchen, Beine entspannen, durchaus zusammen.
Das wurde beschlossen, zunächst trabten sie an die Bar, um sich mit Bier einzudecken, dann begann das Suchen. Die an diesem Abend wenig beachtete Uhr sprach dreiuhrvierundreizig, prime Time. Überall kleine und große Interaktionen, kurzzeitig Irre an kopfeigenen Rädern drehend, Liebe kommt, Liebe geht, genauso verhält es sich mit Freunden und oftmals spaßigen, manchmal traurigen Bekanntschaften.
Ein Spielplatz für den Menschen als soziales Wesen, Marcel und Mira als weitere Spielfiguren.
Man wurde aber fündig: eine der vielen Nischen und Ecken, extra für Ausgelaugte oder Verweilende angelegt, wurde gerade frei.
Eilig nahm man die angewärmten Sitzkissen ein, aneinander gerückt, eine romantische Tüte gedreht.
Es wurde geredet und geredet, sich geküsst, Sympathiebekundungen; wie recht man doch hatte mit dem was man sagte.
In Marcel ertönte der unscheinbare Hauch einer Stimme, die sich zaghaft fragte, ob hier etwas ernsteres entstand. Ganz egal, was das auch bedeuten mochte.
Diese Dinge kommen immer dann, wenn man es am wenigsten erwartet; tatsächlich geschehen sie überhaupt nicht wenn man sie erwartet, viel eher, wenn es einem gerade überhaupt nicht passt.
Alles steht auf dem Kopf, manchmal wird es sogar gut.
Manchmal aber auch nicht.
Mira stubste ihn an.
„Hey.“
Er lächelte, was auch sie zum lächeln brachte.
„Ich hät da was für uns zwei.“ Sie nestelte an ihrer Umhängetasche, „wo hat es sich nur versteckt?“ Ihr die Haare vom Ohr streichend saß er da, gespannt auf das, was wohl aus der Tasche gezaubert werden würde.
Endlich wurde die Hand wieder außerhalb sichtbar, eine kleine Tüte umklammernd.
„Was ist das?“ Große Augen bei der neugierigen Nachfrage.
„Acid.“ Die etwas zu harte klingende Antwort.
Damit hatte er noch keine Erfahrung gemacht, es schüttelte ihn ein wenig über die Erkenntnis hier nicht passen zu können, wenn die magische Verbindung zwischen ihnen sich nicht allzu früh verabschieden sollte.
Mira das Partymädchen, jetzt etwas in ein anderes Licht gerückt, wie sie das scheinheilige, weiße Stück Papier aus der Tüte friemelte.
Tatsächlich war aber sie diejenige, die ihn musterte.
Etwas abschätzend, so schien es.
„Hast du Lust dir das mit mir zu teilen?“ hauchte sie in sein Ohr, etwas zu lasziv, dafür, dass es sich um Drogen handelte.
Marcel schämte sich unbewusst geschluckt zu haben, war aber auch nicht sicher, ob sie das überhaupt mitbekommen hatte. So locker wie möglich, durchaus etwas zu gekünstelt, schnatterte er eine Zustimmung, kassierte dafür einen Kuss auf die Nase und eine halbe Pappe auf die Hand.
Zaghaft, wie wenn man ein neues Gericht kostet, steckte er das Papierchen in den Mund, bettete es auf seiner Zunge und wusste nicht weiter.
Mira kicherte: „Gleich geht der Spaß los!“
Doch Marcel war plötzlich nicht mehr nach Spaß zumute, in ihm kitzelte es, er konnte das nicht zuordnen, fand es sonderbar, etwas beunruhigend.
Unweigerlich glitten seine Gedanken zu Sandra, ihrem Verhalten heute, durchaus begründet seit dem vorletzten Wochenende, dennoch schwer erklärlich.
Es wurde wärmer, jedoch auf eine unangenehme Art und Weise. Denn nicht die Temperatur stieg wirklich, es schien, als würde sich Marcels Wahrnehmung erhitzen, die Farben, die Gesichter.
Auch die Geräusche, selbst seine Gedanken.
Schweiß trat ihm auf die Stirn, wenigstens fühlte es sich so an, tatsächlich war er nicht sicher, ob es nicht bloße Einbildung sei.
Grenzen gingen verloren, zwischen den Farben, zwischen den Geräuschen; etwas Neues schien im Inbegriff sich herauszubilden, nie gekannt, aber auch nie vermisst.
Mira redete am laufenden Band: Ihre Sorgen, ihre Hoffnungen.
Einmal umarmte sie ihn und er schlang sie so fest an sich, dass ein leises Keuchen zu vernehmen war. Marcel fand keinen Halt, tiefer sank er in dieses modrig warme Moor, fühlte sich im Kreise drehend, dann wieder gar nicht.
Marcel bescheuert, lallt er müsse auf Klo, geht dann nicht.
Sondern schaut Mira an, die gerade fleißig die Erweiterung ihrer eigenen Welt zu erkunden schien.
Völlig abwesend hockte sie im Schneidersitz, Wände, Decke, Trivialitäten fixierend, bestaunend.
Fast bittend wiederholte er seine Feststellung bezüglich der Toilette und da sie noch immer nicht reagierte, stand er kommentarlos auf und setzte sich in Bewegung.
Die Hitze wich von ihm, die Dinge schienen geordneter. Offensichtlich eine gute Entscheidung, obwohl Marcel der eigentliche Grund seiner anfänglichen Erregung nicht mehr recht bewusst war. Alles was geschah, schien vor seinem inneren Auge über Notenlinien daherzulaufen. Mit Leichtigkeit waren Harmonien und Disharmonien sämtlicher Begebenheiten festzustellen. Es war das reinste Chaos, aber wenigstens konnte man es so überschauen.
Der Weg zur Toilette war glücklicherweise einfach zu finden, Marcel schlenderte mit großen Augen und breitem Grinsen die rund fünfzig Meter in sieben Minuten. Wie einfach doch alles sein konnte, beispielsweise ist es möglich die Dinge zu zählen: Fünf Notausgänge, zwei links, zwei vorne, einer hinten. Zwei Bars mit fünf Kellnern, vier Toiletten, rund vierhundert Gäste, circa hundertzwanzig Packungen Tabak, sechzig Schachteln Zigaretten...
Marcel gab das Zählen nicht auf, er zählte noch und zählte schon gar nicht mehr, als er sich im grellen Licht vor einem Pissoir wiederfand.
Der Reißverschluss an seiner Hose klemmte, er zog und zerrte, es wollte nicht gehen. Dabei vergaß er alles und konzentrierte sich voll und ganz auf der widerspenstige Stück Metall. Mit einem mal ging es dann doch und kurz darauf ergoss sich ein dringlicher Strahl in das Pissoir.
Das Goldene begeisterte Marcel. Selbst Pisse kann ganz schön sein, stellte er bei sich fest.
„Einiges kann ganz schön sein,“ setzte sich der Gedanke fort, „vielleicht sogar noch einmal zu Mira zu gehen!“
Die Haare durchkämmend wusch er sich die Hände, befand ganz gut auszusehen und trabte mit einem Lächeln auf den Lippen aus dem Toilettenverschlag.
Er tat fünf Schritte, dann sah er sie.
Seine Schwester.

                                                                               V

Sandra unter den Menschen, ein bisschen auffälliger als die unbekannten Gesichter, wie nahe und geliebte Personen immer in Massen erscheinen.
Sandra in seine Richtung gedreht.
Sandra und ihre einnehmenden Augen.
Unweigerlich, aber nicht abgelehnt schritt Marcel wie automatisch auf sie zu. Stand mit einem mal vor ihr.
„Na“ flüsterte sie obgleich der Lautstärke völlig verständlich, ganz so, wie nur Sandra das konnte.
Eine Gänsehaut stellte sich auf Marcels Armen ein.
Wieder dieser Blick.
Marcel auf einer Jolle, stürmische See bei blitzerhellter Nacht.
Er musste einfach durchhalten, nicht weil er sich zu sehr ans Leben klammerte, sondern weil der Sturm ihn reizte, herausforderte.
Der große Bruder vor der kleinen Schwester.
Zwei sich ähnelnde Körper, völlig unterschiedlich.
Ineinander verstrickt und doch immer nur parallel.
„Schön dich zu sehen.“ sagte er und brachte sie damit in Verlegenheit, fand es im nächsten Moment auch nicht mehr angebracht und wurde seinerseits verlegen.
„du... ich...“ Sandra starrte auf den Boden, wusste nicht recht was sagen, „wir... Marcel...“
„Was ist denn Sandra?“ war das blödeste, dass ihm zu sagen einfiel, er sprach es trotzdem aus.
Was los war lag für Marcel auf der Hand.
Die Party vor zwei Wochen, zwölf Stunden Megarave, das Event des Jahres.
Aber eigentlich war es viel mehr danach, im fiebrigen Kreis von dreizig – vierzig Leuten. Eine verschwitzte, verdunkelte Wohnung, Zigarettenqualm, vor Lachen verzerrte Mienen, Luft zum durchschneiden.
Mit synthetischer Liebe angefüllte Neuronen.
Groß angelegte Diskussion über die Wichtigkeit staatlich subventionierter Musikinstrumente, frei zugänglich für jedermann. Am besten in sämtlichen Großstädten der Welt!
Marcel und Sandra nebeneinander auf dem Boden, die Hände haltend, geschwisterlich.
„purpursorbetfarbene Gedankenbrücken!“ Sie kicherte über seine niedlichen Bezeichnungen für ihre drogenbedingte, intensive Zuneigung.
Ein gutes Team, stellte man fest.
Dann wechselte der Dj, neuer Sound, Bewegung in der Diskussionrunde.
Aufstehen, sich verwirrt umschauen, was nun tun?
Die Geschwister beschlossen, sich einen ruhigeren Raum zu suchen, keine Musik, man hatte gerade ein interessantes Gesprächsthema gefunden: Hemmingway und die Liebe – leidlich durchzukauen.
Das Schlafzimmer war unbelegt, aber man hatte das Thema schon wieder vergessen, deshalb begnügte man sich damit auf dem Bett liegend die Decke anzustarren und Tiergeräusche zu mimen.
Es ist nicht ganz sicher, wer dann anfing.
Plötzlich lagen sie aufeinander, küssten sich stürmisch, streichelten sich gegenseitig, immer heftiger, bis sie sich schließlich anfingen die Kleider von den Leibern zu streicheln.
Ihre Küsse wurden immer hektischer, ihre Nähe intensiver;
sie konnten nicht mehr denken, verfielen in die leichtmütige Impulsivität des Spieles der Liebe.
Lagen irgendwann erschöpft wieder da und betrachteten die Decke.

„Ich bin schwanger.“ Er erstarrte. Sie weinte.
Die Worte wuchsen. Sie wurden riesig! Immer weiter, in unfassbare Höhen. Sie schossen! Türmten sich auf! Dann fielen sie hernieder. Begruben ihn unter sich.
Er keuchte, konnte nicht atmen.
Sandra war weg, alles war weg.
Nur noch Marcel stand da, vollkommen umhüllt von Nichts.
Die Worte drückten immer stärker, er schrie.
Schrie um sein Leben!
Ungeachtet der Last rannte er los, alles war wieder da, auf ihn fixiert! Lichter, Leute, Laute; sie alle nur auf ihn gerichtet. Schrien ihn an, versuchten ihn aufzuhalten.
Dann war er draußen und nichts war mehr so, wie er es kannte.


Dienstag, 27. Mai 2014

Luftkopfspringer

Forsch floh an diesem Tage
der Sinn und Zweck
zukunftsorientierter Gedankenbrücken.
Sie sind eingestürzt,
da geht niemand mehr drüber.
Wohlgleich es doch so eingebläut war,
man konnte es fast vom Himmel ablesen.
Das stand fest,
einzig bis es ins Wanken geriet,
nämlich einfach dadurch,
dass sich gefragt wurde,
was denn heute passiere.

Und was dann passiert ist,
war ein seichtes springen,
über Momente.
Wie viel man wirklich sehen kann,
kann man nur fühlen.
Meist dann in der Luft,
bevor schon wieder gelandet wird.
Auf und ab,
ganz so wie es halt ist.

Das ist dann die Entscheidung:
Am Wegesrand oder in der Mitte springen.

Freitag, 4. April 2014

Anfang und Ende sind Namen des gleichen Begriffs


Wie seichter Schneefall stand sie da.
Schlohweiß.
Wunderschön.
Wäre man ganz nah an sie heran gegangen, so hätte sich das pulsierende Blut in ihren Adern hören lassen.
Er die Arme so weit geöffnet wie möglich, bebend in leidenschaftlicher Anstrengung.
Zwischen ihnen nichts als Distanz, endlose, doch trotzdem so eng zusammen, dass die Entfernung furchteinflößend gewirkt hätte. Und tatsächlich, jetzt fingen sie ein wenig an zu zittern, erst unmerklich, dann etwas stärker und schließlich schüttelten sie sich.
Er die Arme ausgebreitet, sie stumm und weiß.
<Wohin gehen wir Marie?>
Leichtes Unbehagen in den Augen, Worte können soviel zerstören.
Das nicht tun, niemals.
Keine Antwort, keine gesprochene, nur Blicke die sich treffen und mehr zu sagen vermögen als all die verbrauchten Floskeln und Binsenweisheiten, mit denen man um sich zu werfen pflegt, wenn man nicht den Mumm besitzt sein Herz anstatt seinen Kopf sprechen zu lassen.
Das ist Ehrlichkeit.
Die Antwort etwas ehrlich nicht zu wissen.
Gleichsam eine unausgesprochene Gegenfrage:
<Wohin gehen wir Leonard?>
Aber nur die Bekundung von Unwissenheit und Unkenntnis durch das Abwenden von ihrem Antlitz; er konnte es auch überhaupt nicht wissen, schließlich waren sie beide noch nie hier gewesen.
Falls man es irgendwann noch einmal braucht: Wenn es so etwas wirklich gibt, dann ist das die große Leere. Hier gibt es nichts an dem sich zu orientieren möglich wäre, also ist es ratsam von vornherein keinen Versuch dahingehend zu unternehmen. Das nur nebenbei bemerkt.
Die Zeit stand still. Es muss wohl kalt gewesen sein, zumindest zitterten sie noch immer, obwohl sie keine Angst mehr verspürten.
Wovor auch.
Höchstens etwas komisch mochten sie sich vorkommen, wie sie da so standen, sie kalt und undurchsichtig, er hingebungsvoll nichts umarmend.
Seine Gedanken flogen dahin; ob es stimmte, dass sie sich schon einmal alles gesagt hatten, was man sich sagen konnte? Es war ein Rätsel, wie dergleichen ein zweites mal hätte geschehen können, aber die Stille bewies erschreckend, dass dieselben Fehler einen immer und immer wieder passieren können, gleich wie sehr man sich auch anstrengen mag sie zu vermeiden.
Das mag täuschen, auf einen erneuten Versuch lohne es sich bestimmt ankommen zu lassen.
Nur die richtigen Worte hatten sich versteckt, wie es die meisten Dinge taten, wenn sie wirklich gebraucht wurden.
<Woher kommen wir Marie?>
Und darauf schien sie eine Antwort zu wissen. Eine winzige Träne troff wie ein einsamer Kristall ihre blasse Wange hinunter.
Da war es auch ihm klar, doch er wollte es noch nicht wahrhaben.
In Paris war man nie gewesen, obwohl oft davon die Rede war. Es gab noch mehr, ein riesengroßer Haufen voller toller Ideen, manche abstrakter als andere, aber allesamt erst einmal behutsam abgelegt, vertröstet auf späteres abtragen.
Dann Stück für Stück, bis es irgendwann Zeit für einen neuen Haufen sein würde.
So war es bei den meisten, so viele tolle Einfälle, man hätte einen ganzen Ozean damit füllen mögen.
Schade, dass immer so unfassbar viel liegenblieb, eine Tages könnte kein Platz mehr sein, alles schon geplant und erträumt!
Dann würde man es hier lagern können dachte Leonard, dann gebe es auch mehr zu tun als zu zittern vor Ungewissheit oder Verdrängung.
Was nur geschehen sein mochte? Mit ihnen, bevor das so weiterging.

Ein warmer Tee auf einem kalten Fenstersims, irgendwo vor Amsterdam, Amstelveen vielleicht. Die Beine übereinander gelegt und gestreichelt, ineinander verschlungene Geister, weit weg von Zuhause.

Eine weitere Träne floh aus ihren Augenwinkeln hinab ins Ungewisse. Beinahe gelassen wie sie da stand, oder teilnahmslos, der Unterschied ließ sich nicht ausmachen.
Es war wohl hauptsächlich diese Kälte in ihr, dieser Schnee, wie in einer kleinen Kugel mit Panorama, nur dass sie sich selbst schüttelte.
Verwunderlich, dass ihm seine Arme nicht schwer wurden, obwohl er noch immer wie empfangend auf irgendetwas wartete. Was auch immer das sein mochte. Es war schwierig gewesen, natürlich nicht von Anfang an, die Angelegenheiten neigen dazu sich erst mit der Zeit zu verkomplizieren, was unbestreitbar eine bodenlose Frechheit ist mit der man sich abfinden muss.
Etliche schöne Momente und dann kann man sich einfach nicht mehr dazu durchringen alles gemeinsame wegzuwerfen, also beginnt das sichern und retten von dem was übrig ist, dann wird es zur Pein und selbst das scheint seine schönen Seiten zu haben.
Die Kunst liegt darin Auswege zu finden, auch Ideen, auch auf Haufen gestapelt, aber auf anderen, jene die am seltensten abgetragen werden.
Die Reise nach Amsterdam war auf so einem Haufen gewesen. Leonard erhielt Klarheit, von jener Art, wie er sie an unzähligen still verkrochenen Abenden herbeigesehnt hatte.
Es war gut das Ganze ohne wenn und aber betrachten zu können.
Vielleicht zum ersten mal.

Warmer Tee auf einem kalten Fenstersims, zwei Zentimeter Glas vom grauen regnerischen Tag getrennt. Leere Gefühlsduseleien wo keine Gefühle mehr zu finden sind.
Reisen, gemeinsame Passion und Ablenkung durch Unternehmung, die durchdacht sein wollte.

<Leonard?>
Ihr Mund blieb geschlossen, doch die anmutige Eleganz der zierlichen Frauenstimme zerriss die Stille und ließ den Raum in seinen Grundfesten erbeben. Ein Mensch hat solche Kraft nicht, hier hatte ein Gefühl gesprochen.
Es war ganz kurz wieder als wäre nichts gewesen, doch nur ein Atemzug und nervenzerreißende Spannung durchflutete jede einzelne von Leonards Zellen. Jetzt war noch nicht alles gesagt worden.

Regentropfen perlten sich in Eile von der angerosteten Motorhaube des VW Golf. Beobachtet durch zwei Augenpaare, leicht verquillt, da erst gerade nach ungeruhsamen Schlafe erwacht.

Das Wetter packt einen meist von hinten bei den Achillessehnen um den Boden unter den Füßen verlieren zu machen, was mithin die hinterhältigste Federführung für Striche durch Rechnungen darstellt. Die Verbissenheit jedoch weiß sich kunstvoll durch bloßes ignorieren der Tatsachen darüber hinwegzusetzen.
Schließlich musste man immer weitermachen!

Abscheulicher, wässriger Tee. Abscheuliche, wässrige Welt.
So etwas kann gar nicht schön sein, ganz im Gegenteil scheint es einem den Verdruss mit Fäusten ins Gesicht schlagen zu wollen. Ob man gut geschlafen habe wurde gefragt und ein Zeichen setzend kam die gebrummte Antwort, dass die Nacht eher durchwachsen gewesen sei.
Man ist sich der Möglichkeit der Stimmungsmache in jegliche Richtung durchaus bewusst, wahrscheinlich befindet sich wie bei den zum Schutz vorgehaltenen Tassen ein Knacks in der Kopfgegend. Henkel besitzen sie aber durchaus. Immerhin.
Gerade deswegen besann man sich darauf still zu trinken und den anhaltenden Regen zu beobachten.
Noch auszureifende Pläne wurden vorgetragen; umkehren?
Keine Option.
Das Wetter würde sich mit Bestimmtheit aufklären, weiterfahren wäre empfehlenswert, immerhin war nicht gerade viel Zeit Schönes miteinander zu erleben. Nur ein Wochenende, dann ginge es zurück in den Alltag und alles müsse wieder gut sein.
Und es war schon Samstagmorgen!

Leonard blickte Marie an.
Sie weinte nicht mehr, zu zittern hatte sie aufgehört. Dafür sah auch sie ihn an, in ihn hinein und dann wieder ihre Stimme zwischen geschlossenen Lippen: <Es tut mir leid.>

Sachen wurden in Windeseile gepackt, dabei gemurmelte Verwünschungen auf Gott und die Welt; selbstverständlich war man sich darüber im klaren, dass die Grundlage eine bessere hätte sein können, aber Plan war Plan und zumindest in halber Sicherheit wurde sich gewägt, dass eins zum anderen finden könne.
Autotüren schlugen zu, quietschende Reifen schickten sich an den Vorplatz einer leicht heruntergekommen Autobahnraststätte auf nimmer Wiedersehen den Rücken zu kehren.
Dem Regen tat das sichtlich leid, zum Beweis beweinte er all das Unglück der Welt.
Noch rund 50 Kilometer zu fahren, nicht mehr weit bis es besser gehen würde.
Im Radio lief „white satin“, die Stimmung angespannt.
Ob er nicht fahren solle, schließlich war die Sicht schlecht.
Das wäre schon okay, immerhin war seine Nacht nicht gut gewesen, sie wolle ihm einen Gefallen tun.
Eigentlich wollte sie sagen, dass sie sich für die bessere Fahrerin hielt, das musste untergründig mitgeschwungen sein.
Dicke Luft.
Es war nicht recht fair, das wusste sie, aber es stimmte und das wusste er.
Volle Fahrt, man wollte schnell sein.
Er hätte besser geschlafen, hätte sie nicht soviel Platz in Anspruch genommen.
Gehässige Stichelei, darauf nicht einsteigen.
Und was wenn doch?
Niemand habe ihn gezwungen neben ihr zu schlafen!
Die Zündschnur entfacht.
Vielleicht sollte er sich das noch einmal überlegen in nächster Zeit neben ihr zu schlafen.
Wutentbrannt.
Vielleicht sollte er sich verdammtnochmal zum Teufel scheren.
Die Bombe platzt!
Seine Arme wie zum offenen Angriff ausgebreitet, sie ihn mit ihrem kältesten Blick durchdringend, das Gaspedal vor Wut durchgetreten.
Rasend schnell bäumt sich der Hass auf, wenn man ihm freien Lauf lässt.
120 Sachen, er ansetzend ihr irgendeine Beleidigung entgegenzuschmettern.
Das Herz zu brechen.
Sie ihm zugewandt.
Der Fahrer ihm Auto vor ihnen verliert die Kontrolle, Aufprall.
In der Luft.
Never reaching the end.“
Dann erstarrt. Für immer.
Seichter Schneefall und weit geöffnete Arme.

Sonntag, 23. März 2014

Von entschwindenen Ohrwürmern

Nimm mich zur Seite,
streich mir durchs Haar,
wo immer du auch hingehst,
der Wind trägt unsere Melodien zusammen.
An einen wunderschönen Ort,
der durch keinen menschlichen Gedanken verdorben.
Der durch keinen Blick entwürdigt,
dieser elenden gelehrten Augen,
die nicht mehr wissen zu weinen,
erblindet durch Meere von Impressionen.

Ich nehm dich in die Mitte,
leg den Arm um dein Wesen,
wo immer ich auch hingehe,
das Lied wird noch gespielt irgendwo.
Auf einer alten Jukebox,
einsam zwischen staubigen Dielen, fleißigen Mäusen.
Ganz für sich erklingt es,
für niemandes Ohr mehr.
Alles vor bretterbeschlagenen Fenstern,
schlägt den Takt für Vorübergehende.

Es verhält sich wie ein Schauspiel,
was leichtweg als Realität betitelt.
Jeder unserer Schritte,
ist ein Tintenfleck auf Papier.
Die einzige Gewissheit ist,
dass jede Geschichte enden mag,
wenn die Seiten voll sind.
Alles was dazwischen kommt,
wird Stück für Stück ausgefüllt,
angefüllt,
mit all den Momenten,
die man letztlich,
starrenden Auges,
in der Dunkelheit
mit der Decke und sich selbst teilt.

Ich dachte oft,
jetzt ist es weniger,
dass es schön wäre,
wenn wir uns irgendwann
unsere Geschichten einmal vorlesen könnten.